Zukünftige Pfarreistruktur auf dem Prüfstand

Unsere Gegenwart ist von grundlegenden Veränderungen geprägt. Die Zahl der Kirchgänger, Priester und in den Gemeinden Engagierten wird kleiner, die Mittel absehbar geringer. Vor diesen Herausforderungen muss darum gerungen werden, auch in Zukunft kirchliches Leben in vielfältigen Gemeinden vor Ort zu ermöglichen. Gute Lösungen liegen dabei nicht auf der Hand, sondern müssen schrittweise erarbeitet werden.
Aus diesem Ansatz heraus wurde im August 2020 der Vorschlag der Aktuellen Etappe zur „Pfarrei der Zukunft“ vorgestellt. Seit Herbst 2020 sind aus den Pfarreien und Gremien des Erzbistums viele Stimmen laut geworden, die verschiedene Anfragen an diesen Vorschlag gestellt haben und stellen: auf den Seelsorgebereichsforen, im Priesterrat, im Diözesanpastoralrat, in zahlreichen Briefen an Kardinal Woelki und Generalvikar Hofmann. Hierbei wurde deutlich: Es braucht eine intensive weitergehende Auseinandersetzung mit der Thematik, um ein Konzept für die Neugestaltung der pastoralen Räume zu entwickeln, das in der Breite des Erzbistums mitgetragen werden kann. Weil diese Frage so entscheidend für die pastorale Entwicklung im Erzbistum ist, sind die Beratungen des Diözesanpastoralrats im Januar verschoben worden, um Zeit für die weitere Bearbeitung und Beratung zu gewinnen. Zudem ist eine konstruktive Beratung der Themen der Aktuellen Etappe erst dann möglich, wenn das Gutachten der Kanzlei Gercke-Wollschläger zum Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln vorliegt und erste Konsequenzen daraus diskutiert sind.
Detailarbeit an den Modellen für die zukünftige Pfarreistruktur
Auf die unterschiedlichen Reaktionen zum angedachten Pfarreiwerdungsprozess hin hat Kardinal Woelki im November eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die unter Leitung von Weihbischof Ansgar Puff ein Alternativmodell zu diesem Vorschlag diskutieren und auf seine Realisierbarkeit hin bewerten sollte. Ziel ist es, zu prüfen, ob die angestrebte und notwendige Fokussierung der finanziellen, organisatorischen und personellen Mittel auf die Seelsorge auch durch 50-60 „dynamische Sendungsräume“ zu erreichen wären. Diese beständen dann aus weiterhin selbständigen Pfarreien. Zudem sollte erörtert werden, ob ein solches Sendungsraum-Modell gegebenenfalls auch parallel zu den vorgeschlagenen Pfarreineugründungen existieren könnte. Damit stehen nun zwei Möglichkeiten im Raum, die intensiv auf ihre pastoralen, finanziellen, organisatorischen und personellen Auswirkungen hin geprüft werden. Dabei wird auch das Modell der „Pfarrei der Zukunft“ kritisch weitergedacht. Ziel ist es, die Modelle für die Beratungen nebeneinanderzustellen.
Auf dieser Grundlage kann der Diözesanpastoralrat faktenbezogen den Erzbischof in der wichtigen Frage beraten: Welches der Modelle erlaubt es uns, sowohl als Kirche vor Ort präsent zu bleiben als auch das breite seelsorgliche und caritative Angebot in den Pfarreien und Gemeinden aufrechtzuerhalten? Klar ist, dass das zukünftige Modell den Herausforderungen genügen muss, die vor uns liegen.
Zum Artikel: Abschließende Beratungen zum Zielbild 2030 auf die zweite Jahreshälfte verschoben
Im Namen Jesu als Gemeinde zusammenkommen
Viele der Reaktionen auf die angedachte Neuordnung der Pfarreistruktur zeigen, dass die Hauptsorge der kirchlichen Gemeinschaft vor Ort gilt. Ja: Die Kirche ist dort lebendig, wo sich Menschen in der Nachfolge Jesu zusammenfinden, um Gott zu loben, Zeugnis zu geben und ihren Mitmenschen zu dienen. Und das an jedem Ort und in jeder Zeit so, dass sie Christus einladend und überzeugend verkünden können. Dieser Kern gelebten Christentums darf nicht von Strukturen und Finanzen abhängig sein, sondern muss von diesen getragen werden.
Bisher wurden die Begriffe „Pfarrei“ und „Gemeinde“ oft synonym oder kombiniert gebraucht („Pfarrgemeinde“), weil bisher bei uns die Pfarrei (als kirchenrechtliche Größe) deckungsgleich war mit der sich dort versammelnden Gemeinschaft der Glaubenden, der Gemeinde. Durch die klare Unterscheidung von Pfarrei und Gemeinde soll es auch bei der Vergrößerung pastoraler Räume gewährleistet sein, das Gemeindeleben übersichtlich zu gestalten. Zukünftige Neugründungen von Pfarreien werden sich deutlich von vergangenen Fusionen unterscheiden: Es wird keine „überdimensionierten Pfarrgemeinden“ geben, sondern in einer großen Pfarrei wird es weiterhin viele Gemeinden geben, in denen der Glaube gelebt wird. Bei allen Überlegungen liegt der Fokus auf den Gemeinden und der Erhaltung des kirchlichen Lebens und des ehrenamtlichen Engagements vor Ort. Das kirchliche Leben soll dort sein, wo die Menschen leben und sich mit ihrem Sozialraum identifizieren. Dabei soll sichergestellt sein, dass alle Gemeinden über die Ressourcen verfügen, die vor Ort benötigt werden. Die Pfarrei als übergeordnete kirchliche Einheit sowie pastorales und rechtliches „Dach“ der Gemeinden garantiert die Unterstützung des kirchlichen Lebens vor Ort in Verkündigung, Diakonie und Liturgie. Alle Aufgaben, die die Gemeinden nicht selber übernehmen können, sollen auf der Ebene der Pfarrei abgebildet sein –in der Seelsorge wie in der Verwaltung.
Ob in Zukunft für das Modell der „Pfarrei der Zukunft“ mit ihren vielen Gemeinden, oder das Modell „Dynamischer Sendungsraum“ gewählt wird: entscheidend wird es sein, das kirchliche Leben in den Gemeinden vor Ort zu ermöglichen und zu unterstützen. Genau diese Basiseinheiten kirchlichen Lebens werden sich in Zukunft stärker individualisieren, in größerer Eigenregie agieren, ausgehend von den jeweiligen Bedarfen der Menschen, sowie abhängig von den Engagierten, die für unterschiedliche Aufgaben Verantwortung übernehmen. Viele Entscheidungen, wie genau mit den Veränderungen umgegangen wird, können ganz individuell von jeder Gemeinde vor Ort getroffen werden. Über neue Formen der Mitverantwortung, wie den Gemeindeteams, kann eine Gestaltungsfreiheit für ein Glaubensleben in der Gemeinde entstehen, das so vielfältig sein wird wie die Menschen, die sich mit ihrer Taufberufung einbringen.
An allen Orten kirchlichen Lebens die Seelsorge erhalten
Mehr denn je braucht unsere Zeit die befreiende Botschaft Jesu, mehr denn je braucht die Gegenwart Menschen, die sich im Geiste Jesu für andere einsetzen. Der Erhalt unserer Gemeinden und das Weiterbestehen weiterer kirchlicher Einrichtungen soll nicht im Widerspruch zueinander stehen. Die Kirche wird überall gebraucht! Erklärtes Ziel ist es, sowohl die Nähe zu den Menschen in vielen Gemeinden des Erzbistums, als auch das sonstige seelsorgliche und caritative Angebot aufrecht zu erhalten.
Kirchenentwicklung muss sich dabei auch im Rahmen dessen bewegen, was auch 2030 noch personell und finanziell möglich ist. Damit soll schon frühzeitig begonnen werden, um den Gestaltungsraum und die Ressourcen zu nutzen, die jeweils zur Verfügung stehen. Auf allen Ebenen des Erzbistums wird Gewohntes aufgegeben werden müssen. Dabei sind und bleiben die finanziellen Ressourcen radikal auf den Dienst an den Menschen und das kirchliche Leben vor Ort ausgerichtet. Fast 80% der Mittel gehen im Jahr 2021 an die Bereiche Seelsorge, Caritas und Bildung – täglich fast 2,5 Millionen Euro. Dieser Fokus soll auch in Zukunft bestehen bleiben.
Das ist angesichts der Ausgangslage ein ambitioniertes Ziel, das nicht ohne Verzicht zu erreichen ist. Bisher scheint das Modell der fusionierten Pfarrei mit vielen Gemeinden eine Lösung zu sein, um den nötigen Verschlankungseffekt von Budget und Verwaltung zu garantieren, der es uns erlaubt, weiterhin in vielen Feldern der Seelsorge und Caritas präsent zu bleiben. Ob dieses Ziel auch durch einen „dynamischen Sendungsraum“ erreicht werden kann, wird die umfangreiche und ergebnisoffene Prüfung der AG Pfarreistruktur, vieler Expertinnen und Experten sowie der Verantwortlichen in der Aktuellen Etappe ergeben.
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